Unser Alltag

Unser Alltag

Von Anfang März bis Ende Oktober sind wir in „Bereitschaft“. Jederzeit kann das Notfalltelefon klingeln, weil wieder ein verwaistes Eichhörnchenbaby gefunden wurde und unsere Hilfe braucht. Sie werden in Gärten oder Parkanlagen gefunden und von den Findern zu uns gebracht. Die kleinen Findelkinder müssen so schnell es geht in unsere Obhut, weil die Tiere oft verletzt, unterkühlt und dehydriert sind und jede Minute darüber entscheidet, ob sie überleben.

So kam auch der kleine Zwuckel – wie viele andere Findelkinder – zu uns. 

Erstversorgung

Wärme und etwas Fencheltee mit Honig war das erste, was Zwuckel bekommen hat. Sein kleiner Körper wurde von uns auf seinen Zustand untersucht. Wir bekommen oft Notfälle mit Verletzungen durch Absturz oder Krähenangriffe. Diese Wunden müssen gesäubert und versorgt sowie Flöhe, Fliegeneier und andere Parasiten entfernt werden. Zwuckel hatte zwar keine äußeren Verletzungen, aber ein gebrochenes Beinchen, eine Lungen- sowie eine Blasenentzündung. Er hatte noch kein richtiges Fell, sondern nur Flaum und war geschätzte 4 Wochen alt. Obwohl er an einem warmen Sommertag gefunden wurde, war er ausgekühlt, krank und schwach. Es sah nicht gut aus um ihn.

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung gestaltet sich schwierig, weil die kleinen Eichhörnchen höchst empfindlich auf Medikamente und Stress reagieren. Zwuckel brauchte Antibiotika, was den sowieso schon schwachen Körper zusätzlich belastete. Aber ohne Medikamente hätte er es nicht geschafft.

Seelische Versorgung

Die kleinen Findelkinder haben meist Schlimmes erlebt, vor allem den Verlust von Mutter und Geschwistern. Sie reagieren daher verängstigt und brauchen das Wichtigste, um wieder gesund zu werden: Ruhe und Geborgenheit. 

Um dieses Trauma verarbeiten zu können, ist es optimal, wenn bereits Findelkinder da sind, zu denen wir den Nachzügler dazusetzen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob die anderen Hörnchenkinder älter oder jünger bzw. dass es keine echten Geschwister sind.

Zwuckel hatte das Glück, dass wir bereits ein Findelkind hatten. Innerhalb von wenigen Minuten ist Zwuckel fest aneinander gekuschelt eingeschlafen.   

Aus diesem Grund ist eine Eichhörnchenhilfe als zentrale Anlaufstelle so wichtig, weil damit eine größere Chance besteht, dass mehrere Eichhörnchenkinder gemeinsam aufwachsen können. 

Aber auch bei uns gibt es immer „das erste Hörnchen der Saison“. In so einem Fall tragen wir den Findling rund um die Uhr in einem kleinen Kuschelbeutel um den Hals direkt am Körper. Durch unsere Körperwärme und kleine streichelnde Berührungen imitieren wir die Geschwisterchen. Es ist jedes Mal erstaunlich, wie groß das Schutzbedürfnis eines Eichhörnchenbabys ist und wie schnell es deshalb Vertrauen zu uns fasst. Das wiederum ist sehr wichtig, damit es Futter von uns annimmt. 

Die erste Nahrung nach dem Finden

Zwuckel hat nach seinem Schläfchen unbedingt Futter benötigt. Obwohl er so krank war, hat er sich von Anfang an füttern lassen und gut getrunken. Bei manchen Tieren dauert es manchmal Tage, bis sie die Milch akzeptieren. Wir haben eine spezielle Aufzuchtmilchmischung, die man allerdings in Menge und Konzentration vorsichtig dosieren muss, da sie wesentlich reichhaltiger ist als die natürliche Muttermilch. Die Tiere müssen langsam an diese Umstellung gewöhnt werden, weil sie sonst mit Blähbauch und Koliken reagieren, die zum Tod führen können.

Nach jeder Fütterung muss dringend Kot- und Urin abgesetzt werden. Eichhörnchenbabies können das – wie viele andere Säugetierbabys – noch nicht alleine und wir müssen das stimulieren.

Nach der Eingewöhnung

Bis zur 5. Lebenswoche muss alle 2-3 Stunden gefüttert werden, auch nachts. Wir haben uns also für Zwuckel den Wecker gestellt. Auch tagsüber haben wir die Babys rund um die Uhr dabei, weil der Futterintervall pünktlich eingehalten werden muss. Zwischen Job, Hauswirtschaft und Einkauf werden die Nesthäkchen immer wieder gefüttert und „entleert“. Autofahren, Straßengeräusche, Telefon, Staubsauger – alles kein Problem. Sobald wir als neue Mama akzeptiert sind und sich ein Eichhörnchenbaby beschützt fühlt, verfällt es in dornröschen-ähnliche Schlafphasen, in denen die Welt ringsherum völlig ausgeblendet wird. 

Der weitere Werdegang

Zwuckel hat trotz aller gesundheitlicher Schwierigkeiten alles gut überstanden. Er hat sogar noch zwei weitere Geschwisterchen hinzubekommen. Die kleine Krabbelgruppe ist nach der 6. Lebenswoche in einen mit Ästen ausgestatteten Käfig gezogen, in der sie ohne Unfallgefahr  die ersten Kletterversuche unternehmen konnten. Rumtoben, spielen und die erste feste Nahrung sind für ein Eichhörnchenkind aufregend und anstrengend. Sie schlafen deshalb immer noch viel und bekommen trotzdem noch in regelmäßigen Abständen ihre Aufzuchtmilch. 

Im Alter von 8 Wochen ist die Motorik dann soweit gefestigt, dass auch der Käfig zu klein ist. Die Hörnchenkinder ziehen dann in eine größere Innenvoliere, in der dann auch Springen und „Fliegen“ möglich ist. Man übt sich in Weithüpfen, jagt sich spielerisch und trainiert die Balance. Ausgewachsene Hörnchen sind in der Lage, mit einem Sprung eine Distanz von 5 Metern zurückzulegen. Dazu muss allerdings die Muskulatur entsprechend ausgebildet und der Mut zu solchen Sprüngen vorhanden sein. Das geht nur mit Training.

Im Übrigen müssen Eichhörnchen auch das Knacken der Nüsse lernen. Aus diesem Grund sind solch teure Sämereien wie Kiefernsamen, Zirbelnüsse und ganz kleine Haselnüsse nötig, damit die Tiere daran „Öffnungsmethoden“ probieren können. 

Die Auswilderung

Im Alter von 14 – 16 Wochen kommen die Kleinen bei uns in die Auswilderungsvoliere. Die Voliere steht am Waldrand, also im unmittelbaren Lebensraum, in dem die Halbwüchsigen demnächst auf eigenen Beinen stehen sollen.

Gerade jetzt sind Geschwister besonders wichtig, da die Umstellung von behüteter Kinderstube auf die neue grosse Aussenvoliere mit Stress verbunden ist. Man erkundet gemeinsam die Voliere, schläft nachts zusammengekuschelt in einem Nest und beruhigt sich so gegenseitig bei Angst vor den Geräuschen der Nacht. Die Tiere bilden in der Gruppe viel schneller und effektiver ihre Instinkte aus, orientieren sich aneinander und warnen sich gegenseitig vor der (noch außen) befindlichen „Gefahr“. Ein überlebensnotwendiger Prozess, der erst abgeschlossen sein muss, bevor wir die Voliere öffnen.

Wir als Pfleger besuchen jetzt die Voliere zwar noch täglich zur Wasser- und Futterversorgung und zur Überprüfung des Gesundheitszustandes, aber wir vermeiden den unmittelbaren Kontakt zu den Tieren. Schon nach 2-3 Tagen hat der Auswilderungsprozess begonnen und die jungen Eichhörnchen reagieren uns gegenüber scheu. Wenn es aufgrund des Stresses doch noch zu Krankheitsfällen kommt, ist eine Behandlung ohne Schutzhandschuhe und Kescher nicht mehr möglich, auch wenn wir die Hörnchen groß gezogen haben.

Nach etwa 2-3 Wochen wird die bis dahin geschlossene Auswilderungsklappe geöffnet (eine 10×10 cm große Öffnung mit Schwingtür). Die Eichhörnchenkinder können nun freiwillig den geschützten Raum verlassen und die Umgebung erkunden. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, zurück in die Voliere zu klettern, um im gewohnten Kobel zu übernachten. Erfahrungsgemäß dauert es etwa 2 Wochen, bis die Halbwüchsigen nicht mehr in die Voliere zurückkehren. Sie haben dann draußen eine geeignete Baumhöhle oder ein verlassenes Vogelnest gefunden oder selbst einen Kobel (Eichhörnchennest) gebaut. Die Voliere kann dann wieder geschlossen werden und eine neue Gruppe Halbwüchsige zieht für den nächsten Auswilderungsprozess ein. 

Für alle Fälle haben wir aber außerhalb der Voliere noch Futterstellen und Schlafhäußchen in den umliegenden Bäumen aufgehängt. Sollte bei Sturm oder Regen das erste selbstgebaute Nest in die Brüche gehen (was durchaus normal ist), und die Voliere ist zwischenzeitlich wieder zu, haben die Hörnchen jederzeit in unmittelbarer Nähe Unterschlupf und Futter.

Nach dem letzten Auswilderungslauf im Herbst bleibt die Voliere dann offen. Wir statten sie dann mit extra vielen und vor allem warmen Schlafmöglichkeiten aus und bieten über den Winter reichlich Futter an. Viele unserer Hörnchenkinder hatten keine Chance, Futter zu sammeln und Depots anzulegen (verbuddeln). Wir betreuen daher unsere Auswilderungsvorliere ganzjährig.

Unsere Verantwortung

Auch wenn die Aufzucht von Eichhörnchen wegen ihrer großen Possierlichkeit sehr reizvoll ist und auch Spaß macht, obliegt uns eine große Verantwortung. Nicht nur, dass unser Alltag während der „Hörnchensaison“ von Futter- und Versorgungszeiten bestimmt wird, wir monatelang nachts nicht durchschlafen und für unsere Hobbys oder Urlaubsreisen keine Zeit bleibt. Zu unseren „Mutteraufgaben“ gehört es auch, alles zu zeigen, was überlebenswichtig ist. Neben der Versorgung der Säuglinge müssen wir daher für unsere Halbwüchsigen Äste, Zweige, Beeren, Zapfen, Bucheckern, Kiefernsamen usw. heranschaffen, um ein artgerechtes Nahrungsangebot zu liefern, welches sie später in der Natur auch wiederfinden. Ebenso muss die Voliereneinrichtung so gestaltet sein, dass die Hörnchen ihre Fähigkeiten als Baumbewohner ausbauen und üben können, um fluchtfähig zu sein. Insbesondere am Tag ihres ersten Erkundungsausfluges außerhalb der Voliere ist das überlebensnotwendig.

Warum wir all die Strapazen auf uns nehmen?

Eichhörnchen können unter natürlichen und guten Lebensbedingungen 6 bis 10 Jahre alt werden. Durch den starken Eingriff des Menschen in den natürlichen Lebensraum überleben 70% aller Eichhörnchen das erste Lebensjahr nicht. Es werden zwar viele Hörnchen in jedem Jahr geboren, aber der überwiegende Teil verendet frühzeitig wegen Nahrungsmangel, Gartenchemikalien, Strassenverkehr und Regentonnen. 

Wir versuchen mit der Aufzucht und Pflege von verwaisten Babyhörnchen oder auch verletzten erwachsenen Eichhörnchen nicht nur dazu beizutragen, den Bestand dieser Tierart zu erhalten, sondern vor allem Lebewesen zu helfen, die durch den Einfluss des Menschen überhaupt erst in diese Situation geraten sind.

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